Ausstellungen

30. April 2022

Christian Odzuck - A piece of marl

Vernissage am Samstag, 30. April 2022 um 15 Uhr

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Mit der Ausstellung Christian Odzuck – A piece of marl meldet sich das Skulpturenmuseum nach fast viermonatiger Umzugsphase zurück und nimmt sein Ausstellungsprogramm am neuen Standort in Marl-Hüls auf. Hierfür verwandelt der in Essen lebende Künstler Christian Odzuck drei ehemalige Klassenräume eines alten Schulgebäudes in eine speziell für Marl entwickelte Laborausstellung. Denn nicht nur das Museum erprobt zum ersten Mal die ungewohnte Architektur für eine Ausstellung an der Martin-Luther-King Gesamtschule, sondern auch Christian Odzuck experimentiert mit neuen Techniken für plastisches Gestalten.

In der Marler Ausstellung verhandelt Christian Odzuck sensible Wechselwirkungsprozesse zwischen Körper, Raum und Objekt. Dafür gestaltet der in Essen lebende Künstler den mittleren Klassenraum als einen sogenannten LABOR-Raum. Hier dokumentieren 170 gezeichnete Skizzen, Fotos und digitale Studien die Entwicklung von der Idee zur plastischen Form und offenbaren konzeptuelle Entscheidungen hinsichtlich Materialität, Haptik und Oberflächenstrukturen. Die Entstehung seiner skulpturalen Werke wird auf einem großen Tisch mit Modellen offengelegt und ermöglicht Besucherinnen und Besuchern Einblick in seinen Arbeitsprozess. Dieser ein knappes Jahr laufende und vom Museum eng begleitete Prozess mit vielen Testreihen von Probedrucken führte zu zwei großen, eigenständigen Installationen. Diese Installationen können demnach als ein Kondensat aus der Atelierarbeit der vergangenen Jahre gelesen werden. Der zentrale LABOR-Raum ist dabei die Verbindung zwischen dem linken und rechten Ausstellungsraum mit ihren sehr unterschiedlichen Atmosphären, er funktioniert wie ein Scharnier. Zwei Studien im Laborraum, Mischungen aus übergroßen Vasen und freien vertikalen Skulpturen, zeigen auch Odzucks intensive Auseinandersetzung mit Beton als künstlerischen Werkstoff, ebenfalls als 3D-Druck. Mit dieser Technik wurden bereits die ersten Häuser gebaut, es sind also noch ganz andere Dimensionen denkbar.

A piece of marl oszilliert zwischen analogen und digitalen Welten – es scheint zwar in Material und Herstellungsprozessen eine klassische Bildhauerausstellung zu sein, doch stimmt das nur zum Teil. Im linken Ausstellungsraum mit dem Titel UTOPIAS ragen etwa 50 symmetrische Stelen teilweise bis zur Decke in die Höhe und können als Übersetzungen digitaler Zeichnungen verstanden werden. Die schlanken, schwarzen Skulpturen sind im ganzen Raum verteilt und bestehen aus in der Prototypenfertigung ebenfalls zum Einsatz kommenden Kunststoff PLA, der besonders einfach zu verarbeiten ist. Doch wie kommt der Künstler zu seinen Formen, die er aus dem reyclefähigen Kunststoff druckt?

Wie ein Stift auf Papier eine zweidimensionale Zeichnung abbildet, so wandelt Christian Odzuck mittels Virtual Reality und 3D-Druck seine Handbewegung, die mit einem Joystick aufgezeichnet wurde, als „digitale Zeichnung“ direkt in eine dreidimensionale Form um. Seine intuitive Geste wird also wie von Zauberhand direkt als Druck materialisiert, aus der in die Luft gezeichneten Bewegung entsteht ein skulpturales Objekt aus Kunststoff. Die schlanken Skulpturen, die manchmal an gedrechselte Tischbeine erinnern, stehen im ganzen Raum verteilt in einer Landschaft aus unterschiedlich hohen, weißen Museumsockeln. Sie erscheinen sowohl fragil als auch architektonisch raumgreifend, und manchmal wegen ihrer spitzen Zerbrechlichkeit fast bedrohlich. Man darf sich durch die Installation bewegen, und stets ändert sich der Blick wie auf einem Pfad durchs Unterholz.

Das 3D-Druckverfahren wird in der Industrie für die Produktion von Ersatz- oder Einzelteilen und die Erprobung von Prototypen genutzt. Christian Odzuck überprüft es hier auf seine Tauglichkeit für künstlerisches Arbeiten, und seine Sicht auf die Ergebnisse ist naturgemäß anders als die der kommerziellen Auftraggeber: Während die industrielle Kundschaft eine möglichst genaue Wiedergabe ihrer digitalen Entwürfe braucht, ist der Künstler an einer lebendigen Oberfläche interessiert. Dafür erhöht er die Druckgeschwindigkeit und nimmt kleine Fehler in Kauf. Die plastischen Formen sind demnach Ergebnisse aus Intuition und spielerischer Anwendung neuer Techniken – das ist genuin künstlerisches Arbeiten.

Den dritten Ausstellungsraum mit dem Titel MARL LAKE transformiert Odzuck in ein geheimnisvolles Environment. In dem völlig abgedunkelten Raum folgt das Publikum einer nahezu landschaftlichen Erzählung – hier ermöglicht das Spiel mit starken Hell-Dunkel-Kontrasten ein immersives Eintauchen in eine Inszenierung, in der die hügelige Erscheinung der Mondoberfläche mit künstlichen Rasterstrukturen verschmilzt. Die Bewegungen des Publikums um das plastische Objekt herum ermöglicht eine räumliche Erfahrung als Erlebnis zwischen Geblendet-sein durch die Lichtstrahler und dem Vergnügen an mimetischer Präzision der Oberfläche. Das Publikum ist eingeladen, die im Zentrum des Lichts stehenden, organisch wirkenden Formen und Strukturen zu umlaufen.

Die in diesem Raum verwendete dritte Technik ist der sogenannten Powder Bed-Betondruck. Bei diesem Prozess werden vorwiegend Pulvermaterialien wie recycelter Bauschutt verarbeitet. Laserstrahlen „brennen“ oder „drucken“ eine aus statischen Gründen mindestens zwei Zentimeter breite Linie in den Staub, Schicht auf Schicht; das überflüssige Material wird am Ende weggesaugt und wiederverwendet. Neben der absoluten Gestaltungsfreiheit – es sind sogar in der Luft schwebende überhängende Formen ohne stützendes Stahlskelet realisierbar – ermöglicht dieses Verfahren eine organisch wirkende Oberfläche, die an Sand- oder Kalkstein erinnert. Der künstlicher Sandstein (Mergelstein, englisch marl: „A piece of marl“) in einer komplexen Form, die aus natürlichem Sandstein kaum zu hauen wäre, bezieht sich auf den „Lake Marl“ in Michigan/USA.

In A piece of marl sind also grundlegend unterschiedliche Produktionsweisen zu erleben, die einer seit Jahrzehnten nicht mehr im Mittelpunkt stehenden bildhauerischen Überlegung neue Aktualität verleiht: die Frage nach der Materialgerechtigkeit. Ist das gewählte Material in Bezug auf seine Verarbeitung und die gewählten Materialstärke (hohl oder massiv) „richtig“, also für die Intension des Kunstwerks überzeugend? Wie beeinflussen die inzwischen relativ kostengünstigen, neuen Techniken das künstlerisch-bildhauerische Denken? In der Marler Ausstellung belegt Christian Odzuck anschaulich das Potenzial von 3D-Drucken in der Bildhauerei und nimmt das Museumspublikum mit auf eine Reise durch die neuen Material- und Formwelten der Bildhauerei im 21. Jahrhundert. Mit dem Handy einen 3D-Scan aufnehmen und als plastischen Körper ausdrucken, diese leicht verfügbaren Möglichkeiten verändern unseren Blick auf die Welt und damit natürlich auch die Kunst. Die erste Präsentation des Skulpturenmuseums am Interimsstandort ist „work in progress“ – eine Laborsituation, auf deren weitere Ergebnisse man gespannt sein darf.

A piece of marl eröffnet am Samstag, 30.04.2022 um 15 Uhr, in der Georg-Herwegh-Straße 67. 
Es sprechen Museumsleiter Georg Elben und die Kulturdezernentin der Stadt Marl Claudia Schwidrik-Grebe.
Der Künstler wird anwesend sein.

In den Museumsräumen gilt weiterhin Maskenpflicht. Bitte bringen Sie zu Ihrem Besuch eine medizinische Maske mit.