Ausstellungen

03. March 2019

Marko Lulić - Performative Skulpturen

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Marko Lulić

Performative Skulpturen

 

Das Skulpturenmuseum Glaskasten hat Marko Lulić eingeladen, eine Einzelausstellung für Marl zu realisieren, weil seine Arbeit ideal zur Programmatik des Museums passt: Bei Lulić sind ebenfalls das Skulpturale und das Mediale die Schwerpunkte seiner künstlerischen Praxis. Der österreichische Künstler befragt Architektur und Bildende Kunst der Moderne, insbesondere die jugoslawische Moderne, mit großem Wissen, kritisch und zugleich mit einer spürbaren Faszination für diese Epoche. Denkmäler und Begriffe werden dabei in performativen Videos und Skulpturen verarbeitet und Wissen aus Geschichte, Kunst und Theorie ergänzt sich mit biografischen Erfahrungen.

Geboren 1972 in Wien, verbrachte Lulić seine Ferien viele Jahre bei den Großeltern in Kroatien, dort wie da fühlte er sich gleichzeitig heimisch und fremd. Ausgangspunkt seiner Arbeit sind Überlegungen zu künstlerischen und historischen Phänomenen, die politisch reflektiert werden: „Kreisky in Österreich, Tito in Jugoslawien: Das war die Zeit der letzten gelebten Utopien der Moderne. Es schien, als könne es nur aufwärts gehen. Doch in den 1980ern drehte es sich.“

Eine wichtige Gruppe in Lulićs Werk sind die „Spomenik“-Skulpturen, die Nachbauten oder Remakes von Partisanendenkmälern. Wie eine steinerne Blume oder ein mächtiger Stern aus Beton, so sehen die Gedenkstätten aus, die zwischen 1945 und 1990 im Jugoslawien Titos für die Opfer des Zweiten Weltkriegs an Orten schwerer Kämpfe oder bei ehemaligen Konzentrationslagern errichtet wurden. Man kann durchaus sagen, dass Lulić in dieser Form des Remakes ab Ende der 1990er Jahre die jugoslawische Moderne als erster Künstler thematisiert hat, indem er die Denkmäler in kleinerem Maßstab aus Holz oder Styropor nachbaut und farbig anmalt.

Es geht Marko Lulić um das Raumerlebnis, das heißt, um das Ausloten des Verhältnisses von Körper und Raum sowie Körper und Skulptur. Nicht nur die Schrumpfung und Veränderung der Objekte steht für ihn im Prozess der Aneignung und plastischen Widergabe im Vordergrund, sondern das Erfahren einer Skulptur oder eines Raumes durch das (im Video: tänzerische) Besetzen eines Ortes. Es ist ein Prozess des Begreifens, der De-Monumentalisierung und des Aufladens, den er bei seinen Skulpturen und performativen Videos anwendet. Die Arbeiten sind immer (auch wenn sie als Video realisiert und daher immateriell sind) skulptural gedacht und erarbeitet: Skulpturen im erweiterten Sinne – performative Skulpturen.

Die künstlerischen Videos von Lulić sind als gefilmte Tanzperfomances konzipiert, wobei die Videos das Verhältnis von Skulptur und Körper befragen und vom Künstler als Skulptur angesehen werden. Das Video „The Bull“ wurde an der Skulptur „Stier“ von Vojin Bakić im Marler Gänsebrink-Park gedreht. Die Skulptur wurde kurz nach ihrer Entstehung 1956 durch die Stadt Marl angekauft und ist seitdem als eine der beliebtesten Skulpturen im öffentlichen Raum Teil der Sammlung des Skulpturenmuseums Glaskasten Marl. Vojin Bakić ist ein wichtiger Vertreter der jugoslawischen Moderne. In den letzten Jahren ist Lulić schon mehrmals auf das Werk von Bakić eingegangen, im Objekt „Metallisée“ und dem Video „Reactivation (Circulation in Space)“ waren Arbeiten von Bakić Thema oder Ort für den Künstler. Der „Stier“ steht im Mittelpunkt der Aktionen, bei der drei Tänzerinnen und ein Tänzer die Bronzeskulptur umringen, streicheln, sie beklettern und sich an sie schmiegen. Die mal wilden, mal zärtlichen Bewegungen lösen Assoziationen an rituelle Tänze aus, die gelegentlich unscharfen Bilder und die engen Bildausschnitte erinnern an Musikvideos.

Das zweite in Marl entstandene Video „The Building“ wurde im großen Sitzungssaal und im Foyer des Marler Rathausgebäudes gedreht. Das Skulpturenmuseum Glaskasten im modernistischen Marler Rathaus als wichtiges Beispiel der deutschen Nachkriegsmoderne der holländischen Architekten van den Broek und Bakema ist für den Künstler nicht nur ein idealer Ort für seine Ausstellung, sondern auch für das neue Video, denn seine Themen und die Art, wie er sie bearbeitet, sind, trotz der historischen Referenzen, ganz auf Fragen der Gegenwart gerichtet. In „The Building“ werden dokumentarische Aufnahmen mit Sprechsequenzen verbunden, Blickbeziehungen aufgebaut und eine mit der Unschärfe spielende Kamera erzählt eine visuell aufgeladene Geschichte des Ortes. Der Schauspieler steht für Architekten der Moderne, die zwei Schauspielerinnen für die Postmoderne und die Gegenwart. In monologartigen Szenen sprechen sie Zitate aus Texten einflussreicher Architekten, die sowohl auf den Drehort, das Marler Rathaus, bezogen werden können als auch die Frage aufwerfen, welche Zukunft für dieses Gebäude und die Architektur generell zu erwarten ist und welche man sich wünschen mag. Die stimmungsvollen Einstellungen zwischen den Zitaten lassen dem Betrachter Zeit, über das Gehörte nachzudenken, auch über die Art des Sprechens; das Deklamatorische erinnert an Brecht, die filmischen Blickbeziehungen an Fassbinder – Lulić spielt mit vielen Deutungsmöglichkeiten in seiner Kunst, aber man kann als Besucher auch einfach die farbenfrohen Skulpturen schön finden und die vielen Tanz-Videos genießen.

Die Ausstellung wurde produziert in Kooperation mit Phileas – A Fund for Contemporary Art und maßgeblich unterstützt durch den Freundeskreis Habakuk zur Förderung des Skulpturenmuseums Glaskasten Marl und das Bundeskanzleramt Österreich.

CV

1972 in Wien geboren/born in Vienna 1972
Lebt und arbeitet in Wien/lives and works in Vienna
1992 – 96 Hochschule für Angewandte Kunst, Wien/University for Applied Arts, Vienna
1996/1997 Akademie der Bildenden Künste, Wien/Academy of Fine Arts, Vienna

PREISE UND STIPENDIEN / AWARDS AND GRANTS
1994 Preis der Sussmannstiftung, Wien/Award of the Sussmann Foundation, Vienna 1996 Artist in Residence, Villa Arson, Nizza/Nice
1998 Artist in Residence, Schindler Haus, MAK Center, Los Angeles
2000 Österreichisches Staatsstipendium/Austrian State Grant
2003 Preis für Graphik der Stadt Wien/Award for Graphics of the City of Vienna
2004 Preis der Hilde Goldschmidt Stiftung, Innsbruck/Award of the Hilde Goldschmidt Foundation, Innsbruck
2005 Artist in Residence, ISCP, New York
2007 Artist in Residence, OCA, Oslo Preis der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung/Award of the Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Foundation, Essen
2009 Werkstattpreis Kunststiftung Erich Hauser, Rottweil Kardinal König Kunstpreis, Salzburg
2010 Preis der Stadt Wien/Award of the City of Vienna