Ausstellungen
09. December 2012
Elizabeth Hoak-Doering – (especially for remote voyages)
Bei der ersten Einzelausstellung der amerikanischen Künstlerin Elizabeth Hoak-Doering in Deutschland steht ein Kunstwerk im Zentrum, das im vergangenen Jahr als Beitrag Zyperns auf der Biennale von Venedig im Palazzo Malipiero seine Premiere erlebte. Die Doppelprojektion „leaving the harbor of haloes“ (Abfahrt aus dem Hafen des heiligen Lichts) ist das Ergebnis eines komplexen medialen Transformationsprozess, begleitet von einer gläsernen Skulptur, die den Ton beisteuert (Dauer: 8 min im loop).
Innerhalb der Stadtmauer von Famagusta auf Zypern sind Kirchenruinen der französischen Gotik zu finden – historische Zeugen der Belagerung durch die Osmanen im Jahre 1571. Wahrscheinlich waren es Seeleute, die sich ihre Zeit damit vertrieben, Bilder ihrer Schiffe in die freigelegten Fresken der Kirche „St. Georg der Griechen“ zu ritzen. Sie kratzten sie über die gemalten Heiligenfiguren und zwischen deren Heiligenscheine, ohne ihre Namen oder die ihrer Schiffe anzugeben; die Gründe für ihr Tun sind nicht bekannt. Die Details dieser Schiffsabbildungen lassen jedoch darauf schließen, dass viele der Seeleute osmanischer Herkunft waren und sich sehr für die Takelage ihrer Schiffe interessierten.
Im Frühjahr 2010 hat die Künstlerin diese „Graffiti“ der Seeleute mit einer Art Frottage-Technik abgepaust, fotografiert und einzeln in eine Videoanimation übertragen. Die unterschiedlich großen Schiffe scheinen – über Eck projiziert – im Raum zu segeln und entkommen dadurch der Flächigkeit der ikonografischen Welt der Kirchenwände. Jedes Schiff bewegt sich so, wie in der Abbildung dargestellt: wie die Segel gebläht sind oder in welche Richtung der Schiffsrumpf weist. An den Abbildungen der Seeleute sind also keine Veränderungen vorgenommen worden.
Akustisch wird die Videoinstallation begleitet durch die frei im Raum stehende Klangskulptur „Thermofona“ des Schweizer Künstlers Martin Müller. In einem Stahlgestell werden unterschiedlich hohe Glaszylinder gehalten, durch die erhitzte Luft strömt und dadurch Klänge wie mit Orgelpfeifen erzeugt.
Für Elizabeth Hoak-Doering sind die Vorstellungen des englischen Philosophen und Politikers Francis Bacon eine Art thematische Hintergrundfolie für ihre Installation „leaving the harbor of haloes“. „Nova Atlantis“ ist die erste neuzeitliche Utopie, die sich sowohl im Titel als auch im Text explizit auf Platons Atlantis beruft. Bacon erhebt Atlantis dabei zum historischen Fakt und identifiziert es mit Amerika, um der eigenen Geschichte mehr Glaubwürdigkeit zu geben. In seinem 1627 erschienenen fragmentarischen utopischen Werk „Das neue Atlantis“ schreibt er über die Schifffahrt:
„Ihr solltet Folgendes verstehen (was euch vielleicht ganz unglaublich vorkommen mag), dass vor etwa 3000 Jahren, oder etwas früher, der Schiffsverkehr auf der ganzen Welt (insbesondere mit entfernten Ländern) einen weitaus größeren Umfang hatte als heutzutage. Denkt nicht, dass ich nicht wüsste, wie sich die Schifffahrt bei euch in den letzten 120 Jahren entwickelt hat. Ich weiß es wohl, und dennoch sage ich, dass sie damals größer war als jetzt. Vielleicht war es ja so, dass das Beispiel der Arche, durch welche die letzten überlebenden Menschen aus der Sintflut gerettet wurden, der Menschheit ein besonderes Vertrauen zur Seefahrt verlieh, aber vielleicht lag es auch an etwas anderem; jedenfalls ist das, was ich euch jetzt mitteile, die Wahrheit. Die Phönizier, und besonders die Einwohner von Tyrus, verfügten über umfangreiche Flotten. Ebenso die Karthager, eine mehr westlich gelegene Kolonie. Im Osten waren die Flottenverbände Ägyptens und Palästinas ebenso mächtig. Auch China und das große Alt-Atlantis (von euch Amerika genannt), die jetzt nur noch Dschunken und Kanus kennen, hatten seinerzeit übermäßig viele große Schiffe. Unsere Insel war ebenfalls (wie zuverlässige Register aus dieser Zeit belegen) im Besitz von 1500 Schiffen mit hohem Fassungsvermögen. Von diesen Dingen habt ihr wenig oder gar nichts mehr in Erinnerung, aber wir haben darüber sichere Kenntnis.“ (Francis Bacon, “New Atlantis” 1624/1627)
Zwei weitere, eigens für Marl konzipierte Werke sind in der Ausstellung zu sehen: die Radio-Zeichnungen und die Video-Animation der Skulptur „Danzatore“ (Tänzer) des italienischen Bildhauers Marino Marini aus dem Jahr 1954, die dem Skulpturenmuseum Glaskasten gehört und 1962 durch die Stadt Marl erworben wurde. Für die klassische Stop-Motion–Technik hat die Künstlerin unzählige Zeichnungen angefertigt, abgelichtet und im Video in Bewegung versetzt. Im Museum steht das nur 142 cm große Original in Sichtweite der Projektion, der Besucher kann also die gezeichnete, sich leicht verbeugende und medial flüchtige Erscheinung mit dem fest im Raum in einigem Abstand stehenden Bronzeguss vergleichen.
Für das im Untergeschoss inszenierte Projekt „Radio Drawings“ (Radio-Zeichnungen) setzt Doering Low-Tech-Radios ein, die ohne eine eigene Energiequelle, im Idealfall sogar ohne Batterien auskommen. Es handelt sich dabei im Grundtypus um ein funktionierendes Radio, das im Prinzip überall einen oder mehrere lokale Radiosender empfangen kann – abhängig von der Umgebung und den jeweils in den Ausstellungsraum zu leitenden Radiowellen. Betrachter werden dabei zu Hörern, und als solche erhalten sie Informationen aus zufälligen – oder zumindest ortsabhängigen – Übertragungssignalen. Die Lautstärke ist dabei ziemlich leise und erfordert konzentriertes Hinhören.
Der Gegensatz zwischen der eingeschränkten Akustik einerseits und der raumgreifenden visuellen Natur der Zeichenelemente andererseits fordert den Hörer dazu auf, die Art, wie Informationen verbreitet werden, zu hinterfragen: Das Radio ohne Energiequelle scheint gleichsam die leisen Stimmen aus dem Nichts abzugreifen. Die Radioinformationen scheinen Teil der Luft zu sein, in der wir uns bewegen und die wir atmen. „Radio Drawings“ kann deswegen als ein Kommentar auf die allgegenwärtigen und durchdringenden Massenmedien verstanden werden und ruft den Diskurs des 20. Jahrhunderts über „Intermedien“ wieder auf. Diese ‚Radiogeräte‘ veranschaulichen die physische Unmittelbarkeit des Massenmediums Radio in einer Beziehung zwischen Erde (Boden), Luft (Antenne) und dem sich in den Zwischenräumen abspielenden Mediendiskurs.